hr-iNFO-Büchercheck: Ein sterbender Mann von Martin Walser

hr-iNFO-Büchercheck: Ein sterbender Mann von Martin Walser

21.01.2016

88 Jahre ist der Schriftsteller Martin Walser alt, aber immer noch produktiver als die meisten seiner jüngeren Kollegen. Gerade ist sein neuster Roman erschienen. „Ein sterbender Mann“ heißt er. hr-iNFO Bücherchecker Alf Mentzer hat den Roman gelesen.

Worum geht es?
Der sterbende Mann in diesem Roman heißt Theo Schadt. Er ist ein 72jähriger Unternehmer, der von seinem besten Freund verraten und um einen Großteil seines Besitzes gebracht wurde. Und deshalb will Theo Schadt sterben und tut das, was man heute offenbar tut, wenn man sterben will. Er geht ins Internet, in eines der digitalen Suizidforen und verwickelt sich dort in eine äußerst lebhafte Diskussion. Außerdem ist da auch noch diese Frau, der Theo Schadt im Laden seiner Frau begegnet, und deren Escheinung ihn wie ein Blitzschlag trifft. Die Liebe kommt ins Spiel und drängt das Thema „Sterben“ nach und nach in den Hintergrund, ohne dass es verschwinden würde. Am Schluss sind tatsächlich drei Menschen tot.

Wie ist es geschrieben?
Dieser Roman ist ziemlich virtuos konstruiert. Es gibt die Emails in diesem Selbstmord-Chat, es gibt die Briefe an die angebetete Frau, und von beidem berichtet Theo Schadt wiederum in Briefen, die er an einen Schriftsteller schreibt. Das scheint eine etwas verwickelte Struktur zu sein, funktioniert aber wunderbar. Walser macht erfahrbar, wie viel Lust und Kraft im Schreiben steckt, und er zeigt, wie lebendig ein Erzähler sein kann, selbst wenn er über die Demütigungen des eigenen Alters schreibt, wie in dieser Passage:

Es ist deutlich genug, dass jeder Jüngere einen Fünfundsechzig- oder Siebzigjährigen für sehr alt hält. Man spürt, dass in jedem Satz an eine Abgeklärtheit und Sterbebereitschaft appelliert wird, die man nicht hat. Man ist alt, das stimmt. Aber man hat keine anderen Wünsche oder Absichten als jemand, der zwanzig Jahre jünger ist. Der Unterschied: Man muss jetzt so tun, als hätte man ganz andere Wünsche und ganz andere Absichten als ein Fünfundvierzigjähriger. Das Altsein ist eine Heuchelei vor Jüngeren.

Wie gefällt es?
Mir hat die Lektüre einen Riesenspaß gemacht, weil Martin Walser überhaupt nicht weinerlich mit dem Thema umgeht, weil er seiner eigenen Lust am Erzählen freien Lauf lässt, auch der Lust am Spötteln, an der Ironie, an der Satire. Das ist Martin Walser in Hochform. Das ist ein Schriftsteller der offenbar mehr Freude an der Sprache als Ehrfurcht vor dem Tod hat.

hr-iNFO

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gebundenes Buch, 286 S.
Sprache: Deutsch
Rowohlt Verlag
ISBN: 9783498073886